Das Große Mausohr (Myotis myotis) ist auf besondere Weise mit dem Menschen verbunden -
in vielen europäischen Ländern wählen die Weibchen Kulturdenkmäler wie
Kirchen und Schlösser für ihre Wochenstuben, was uns zeigt, wie sehr der
Mensch für das Überleben dieser Fledermäuse verantwortlich ist und wie
wichtig ein Netzwerk von Kultur- und Naturlandschaften ist. Mit der Wahl
des Großen Mausohrs zur Fledermausart der Jahre 2024-2025 soll nicht
nur auf die Erhaltungsprobleme hinweisen werden, sondern auch auf
bewährte Verfahren, die überall in Europa zum Schutz dieser Art
umgesetzt werden.
Morphologie
Das Große Mausohr ist eine große
Fledermaus mit einer breiten Schnauze und großen, langen Ohren. Die
Rückseite ihres Körpers ist braun bis rötlich-braun, während die
Unterseite schmutzig weiß oder beige ist. Der Tragus, ein senkrechter
Zapfen vor der Ohrmuschel, reicht etwa bis zur Hälfte des Ohrs und hat
normalerweise eine dunkel pigmentierte Spitze. Sie erreicht eine Kopf-
und Körperlänge von 6,7 bis 7,9 cm und ein Gewicht von 20 bis 27 g. Ihre
Flügelspannweite beträgt zwischen 35 und 43 cm.
Verbreitung und Lebensräume
Diese Art lebt in
fast ganz Europa, fehlt aber (mit Ausnahme einzelner Individuen) in den
meisten Teilen Skandinaviens und auf den Britischen Inseln. Die östliche
Verbreitungsgrenze in Europa verläuft durch Polen und die Ukraine.
Die Populationen wurden in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts stark dezimiert und davon immer noch nicht erholt.
Um zu überleben, benötigt diese Art das ganze Jahr über eine Vielzahl
von Lebensräumen. In weiten Teilen Europas ziehen die Weibchen ihre
Jungen in den ruhigen Dachböden großer Gebäude auf und jagen in
naturnahen Laubwäldern oder über Wiesen und Weiden in der
Kulturlandschaft nach Nahrung. Für den Winterschlaf benötigt das Große
Mausohr monatelang stabile mikroklimatische Bedingungen, die es in
natürlichen Höhlen findet.
Sommerquartiere
Im südlichen Teil ihres
Verbreitungsgebiets quartiert sich die Art im Sommer typischerweise in
Höhlen, Bergwerken und anderen unterirdischen Plätzen zum Schlafen ein.
Vor allem in Mitteleuropa nutzt das Große Mausohr auch künstliche
Schlafplätze, z.B. Dachböden, Kirchen, Keller und große Brücken.
Gelegentlich werden auch Baumhöhlen und Fledermauskästen genutzt.
Mutterschaftskolonien in Höhlen können in Mitteleuropa 50 bis 5.000
Fledermäuse und bis zu 8.000 Individuen in südlichen Regionen umfassen.
Diese Kolonien bestehen meist aus weiblichen Fledermäusen (manchmal ist
auch eine kleine Anzahl von Männchen dabei). Sie bilden sich in
südlichen Regionen normalerweise Ende März und werden im August
aufgelassen. Die Männchen übernachten in der Regel einzeln und nutzen
Baumhöhlen, Dächer, Türme, Fledermauskästen und Brückenspalten. Die Wahl
des Schlafplatzes hängt in erster Linie von den mikroklimatischen
Bedingungen (30-34 °C) und dem Grad der Parasitenbelastung ab. Die
Fledermäuse bewegen sich während der Fortpflanzungszeit oft innerhalb
der Kolonie, um die optimalen Standorte zu finden.
Lebensräume für die Nahrungssuche
Das Große
Mausohr wählt seinen Lebensraum für die Nahrungssuche nach dem Vorkommen
von Beutetieren und der leichten Zugänglichkeit zu bodenbewohnenden
Gliederfüßern (z.B. Insekten, Spinnentiere) aus. Auf landschaftlicher
Ebene benötigen sie große Waldgebiete und sind in einer Vielzahl von
Lebensräumen anzutreffen, darunter offene Laubwälder, Waldränder,
halboffene und offene Wiesen und Weiden, landwirtschaftliche Flächen und
Obstgärten. Sie sind in Höhenlagen von Meereshöhe bis etwa 2.000 m zu
finden, wobei sie Gebiete unterhalb von 800 m bevorzugen. Da sie sich
vor allem von bodenlebenden Insekten ernähren, favorisieren sie Wälder
mit großen Lichtungen und spärlicher Bodendecke. Sie können im Flug
kleine Insekten wie Käfer fangen und diese dann auch gleich verzehren.
Um größere Insekten zu fressen, müssen sie sich absetzen. Bei der
Nahrungssuche befinden sie sich in der Regel in geringer Höhe über dem
Boden und man nimmt an, dass sie eine Kombination aus Gehör und
Geruchssinn nutzen, um Beutetiere zu lokalisieren. Der Lebensraum für
die Nahrungssuche befindet sich üblicherweise in einem Umkreis von 5–15
km vom Schlafplatz, in Ausnahmefällen fliegen sie aber auch deutlich
weiter. Das gesamte Nahrungsgebiet eines Großen Mausohrs kann bis zu
1.000 ha groß sein. Allerdings konzentrieren sich Fledermäuse
normalerweise auf ein bis fünf kleinere Kerngebiete, die zwischen ein
und zehn ha groß sind.
Ernährung
Die Mausohrfledermaus ernährt sich
hauptsächlich von großen bodenbewohnenden Gliederfüßern (Arthropoden).
Am beliebtesten sind Laufkäfer (Carabidae), von denen ein großer Teil Echte Laufkäfer (Gattung Carabus) sind, gefolgt von anderen Bodenarthropoden wie Hundertfüßer (Chilopoda),
Spinnen und Käferlarven. Andere Käfer, Maulwurfsgrillen, Schnaken oder
Echte Grillen sind nur selten oder saisonal als Beute von Bedeutung.
Das Große Mausohr verlässt sich bei der Jagd auf Bodeninsekten oft
nicht nur auf die Echoortung: Es nutzt seine großen Ohren, um die
Geräusche von Beutetieren wahrzunehmen, die in trockenen Blättern
herumkriechen.
Lebensweise
Ab Mitte August schwärmen die
Fledermäuse in Höhlen herum, wo sie sich gelegentlich paaren. Die
Paarung findet jedoch häufiger an den Schlafplätzen der Männchen statt.
In Mitteleuropa werden die Jungtiere zwischen Ende Mai und Anfang Juni
geboren, im Mittelmeerraum kann dies bereits Anfang April der Fall sein.
Die ersten Trainingsflüge im Alter von drei bis vier Wochen finden noch
im Quartier statt, die ersten Flüge außerhalb des Schlafquartiers
beginnen im Alter von etwa fünf Wochen.
Das Große Mausohr hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von drei
bis fünf Jahren. Allerdings können einige Individuen auch viel älter
werden. Das älteste bekannte Individuum wurde 25 Jahre alt.
Winterschlaf
Das Große Mausohr hält seinen
Winterschlaf in unterirdischen Quartieren wie Höhlen, Tunneln oder
Kellern. In diesen Überwinterungsquartieren nutzt es feuchte und relativ
warme Bereiche mit Temperaturen bis zu 12° C. Im Winter hängen
Einzeltiere oder kleine Gruppen meist frei an der Decke oder verstecken
sich tief in Spalten. Größere Ansammlungen von mehreren hundert Tieren
werden selten gebildet.
Gefährdung
Das Große Mausohr wird in der Roten
Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature) von 2016
als "nicht gefährdet" eingestuft. Auf lokaler Ebene gilt die Art jedoch
als "potenziell gefährdet" oder "gefährdet" aufgrund anhaltender
Bedrohungen auf regionaler und nationaler Ebene. Das betrifft vor allem
den Verlust von Lebensräumen, einschließlich der Korridore zu und von
Schlafplätzen und Nahrungsgebieten sowie den Einsatz von Kunstdünger und
Pestiziden. Diese verringern die Insektenvielfalt und führen
möglicherweise zu einer indirekten Vergiftung von Fledermäusen. Der
Abfluss von Pestiziden ins Wasser kann den Bestand an Wasserinsekten
stark beeinträchtigen. Schließlich stellen auch die Störung und
Zerstörung von Schlafplätzen eine kritische Bedrohung für die Art dar,
insbesondere während der Mutterschafts- und Überwinterungs-Perioden.
Da die Fledermaus eng mit dem Menschen verbunden ist, ist es
notwendig, alle Beteiligten in die Schutzmaßnahmen einzubeziehen. Jede
Veränderung in unserer Umwelt, zum Beispiel in der Architektur, der
Land- oder der Forstwirtschaft, hat Auswirkungen auf diese Art.
Gesetzlicher Schutz
Das Große Mausohr ist in den
Anhängen II und IV der EU-Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie gelistet und
ist damit eine Art von besonderem Interesse für das europaweite Natura
2000-Netz. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, das Vorkommen dieser
Art zu berücksichtigen, wenn sie der Europäischen Kommission Natura
2000-Gebiete vorschlagen und das Große Mausohr sowie seine Lebensräume
in ihrem gesamten Staatsgebiet zu schützen.
Darüber hinaus wird das Große Mausohr im Rahmen des Abkommen zur
Erhaltung der europäischen Fledermauspopulationen (UNEP-EUROBATS) im
Einklang mit dem Übereinkommen zur Erhaltung wandernder wild lebender
Tierarten(Bonner Konvention/CMS) behandelt. Alle Vertragsparteien dieses
Übereinkommens (EU- und Nicht-EU Mitgliedsstaaten) sind aufgefordert,
Rechtsinstrumente zum Schutz aller Fledermausarten zu verfügen,
einschließlich des Großen Mausohrs.
Text: Heather Woods, Philippe Théou & Ulrich Hüttmeir
Die Fledermaus des Jahres wird ernannt von BatLife Europe https://www.batlife-europe.info
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