Die Wahl fiel dieses Jahr auf eine Art, die nach massiven Bestandseinbußen während der Zeiten hoher Belastung der Luft mit Schadstoffen nun wieder eine Zunahme erkennen lässt. Dies ist dem Wunsch geschuldet, mit den Arten auch eine positive Botschaft zu übermitteln.
Moose sind – ebenso wie Flechten – gegenüber Luftschadstoffen sehr empfindlich. Im Gegensatz zu Höheren Pflanzen besitzen sie kein effektives Abschlussgewebe und nehmen Wasser mit der gesamten Oberfläche auf. Insbesondere die epiphytischen, d.h. die auf der Rinde lebender Bäume wachsenden Arten sind für ihre Wasserversorgung allein auf den Regen bzw. Tau angewiesen und haben sich durch eine rasche Wasseraufnahme bei der ersten Benetzung an diese Mangelsituation angepasst. Dadurch bekommen sie aber auch die besonders hohe Schadstofffracht der ersten Regen- oder Nebeltropfen ab, wenn die Luft noch nicht ausgewaschen ist. Zudem sind Moose und Flechten auch oder gerade im Winterhalbjahr aktiv, wenn die Luft durch Hausbrand und Inversionswetterlagen besonders hoch belastet ist. Alle Arten leiden darunter, manche kommen damit einigermaßen zurecht, andere gar nicht. Das Moos des Jahres 2024 gehört zu der letzteren Gruppe.
Aussehen
Das Hängende Widerhakenmoos bildet große grüne Polster auf Blockschutt oder auf der Rinde von Laubbäumen. Durch den Standort, die kräftigen Polster, die rot durchscheinenden Stängel, vor allem aber durch die an der Blattspitze rechtwinklig abstehenden Zähne ist die Art gut kenntlich.
Antitrichia curtipendulabildet bis zu etliche Quadratdezimeter große, grüne bis dunkelgrüne, lockere Decken oder Hängerasen. Die aus den fadenförmigen Primärstämmchen entspringenden niederliegenden bis hängenden, bis zu 20 cm langen Sekundärsprosse sind unregelmäßig und entfernt fiederig beastet. Die 2,5‒3 mm langen Blätter liegen dem rotbraunen Stängel an oder stehen leicht ab, besonders an den Spross-Spitzen sind sie oft leicht einseitswendig. Sie sind am Rand schmal umgebogen, besitzen einen herzförmigen Grund und eine lang ausgezogene scharfe Spitze. Der Rand ist vor allem gegen die Spitze scharf rechtwinklig abstehend bis zurückgebogen gezähnt. Die einfache, kräftige Rippe erreicht etwa drei Viertel der Blattlänge, an der Blattbasis finden sich meist einige kurze Nebenrippen. Die Blattzellen sind verlängert rautenförmig bis linealisch, in den undeutlich abgesetzten Blattflügeln kurz rechteckig bis quadratisch, am Blattgrund rötlich verfärbt. Die selten zu beobachtenden ellipsoiden Kapseln stehen auf einem bis zu 12 mm langen glatten Kapselstiel.
Verwechslungen sind möglich mit anderen lockerrasigen Großmoosen, etwa mit dem Großen Hainmoos (Hylocomium brevirostre), Schönschnabelmoosen (Eurhynchiumspp.) oder Kranzmoosen (Rhytidiadelphusspp.). Die Kombination der Merkmale roter Stängel, lang ausgezogene Blattspitze, einfache kräftige Blattrippe und rechtwinklig bis zurückgebogene Zähne am Blattrand ist jedoch eindeutig.
Ökologie
Das Hängende Widerhakenmoos tritt sowohl an der Rinde von Bäumen (epiphytisch) als auch auf Gestein (epipetrisch) auf. Die epiphytischen Vorkommen finden sich an Bäumen mit basenreicher Borke, so an Ahornen oder Eschen, sowohl am Stamm wie auch an größeren Ästen. Epipetrisch wächst sie auf Gesteinsblöcken, gerne in Blockhalden (Gneis, Kalk, seltener Sandstein, Granit). Gemeinsam ist den mäßig trockenen, basenreichen Standorten die geringe bis mäßige Beschattung und die luftfeuchte Lage in Gebieten mit höheren Niederschlägen.
Verbreitung und Gefährdung
In Europa besitzt die Art eine leicht atlantische Verbreitung mit einzelnen Vor- (oder Rest-)Posten im kontinentalen Bereich. Die Vorkommen häufen sich im westlichen Teil (Island, Britische Inseln, westliches Skandinavien, Spanien, Portugal, Frankreich) und klingen nach Osten aus. Die Art kommt nach einer Verbreitungslücke in Osteuropa wieder an der regenreichen Ostküste des Schwarzen Meeres vor und fehlt dann abgesehen von Taiwan in ganz Asien. Zudem findet man sie an der nordamerikanischen Westküste.
In Mitteleuropa kommt sie von der Ebene bis ins Hochgebirge vor. Ein Vergleich mit Niederschlagskarten zeigt, dass sie weltweit eine starke Präferenz für Gebiete mit über 1.000 mm Jahresniederschlag zeigt. Sie kommt jedoch auch in niederschlagsärmeren Gebieten vor (vor allem in Südschweden); möglicherweise weicht sie hier in regional- oder lokalklimatisch feuchtere Lagen aus.
Wegen ihrer hohen Empfindlichkeit gegenüber Luftschadstoffen ist die Art bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts, dann aber vor allem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts stark zurückgegangen und hat sich in die Gebirgslagen zurückgezogen. Außerhalb der Gebirge sind die Vorkommen am Bäumen nahezu völlig verschwunden, überdauern konnte die Art hier nur noch vereinzelt an Felsblöcken. Wegen des anderen Abflussverhaltens des Regens und der abpuffernden Wirkung des Gesteins sind auf Gestein wachsende Vorkommen von Moosen generell weniger empfindlich gegenüber sauren Niederschlägen als jene, die an Bäumen vorkommen. Neben den Luftschadstoffen spielen die großflächige Entwässerung der Landschaft und der Umbau der Wälder in Nadelholzmonokulturen sicher auch eine Rolle beim Rückgang der luftfeuchteliebenden Art.
Seit der Jahrhundertwende wird gelegentlich ein Wiederauftreten der Art aus einzelnen Gebieten Mitteleuropas berichtet. Zweifellos haben sich die lufthygienischen Bedingungen hinsichtlich der Belastung mit Schwefelverbindungen in dem Zeitraum deutlich verbessert, so dass mit einer Wiederausbreitung der Art gerechnet werden kann. Dem steht allerdings die Schwierigkeit entgegen, dass die wenigen Vorkommen außerhalb der Gebirge kaum oder nie Sporen bildende Generationen ausbilden und damit eine Fernverbreitung so gut wie ausgeschlossen ist. Inwieweit die Wiederfunde auf Neuansiedlungen zurückzuführen sind oder ob es sich um neue Entdeckungen überdauernder Kleinstpopulationen handelt, ist schwierig zu entscheiden.
Auf der Roten Listen für Österreich wird die Art als gefährdet und regional stark gefährdet eingestuft.
Biologie
Das Hängende Widerhakenmoos pflanzt sich durch Sporen fort. Die Bildung der Sporenkapseln ist allerdings bei schlechten Umweltbedingungen unterdrückt, dann kann nur noch eine (ineffektive) Nahverbreitung über Sprossbruchstücke erfolgen.
Text von: Wolfgang von Brackel & Norbert J. Stapper (gekürzt)
Ernannt von: Naturschutzbund Österreich gemeinsam mit der
Bryologisch-Lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM)
e. V. https://blam-bl.de/
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